Angelika hat auf ihrem Reiseblog "angiestravelroutes.com" eine Blogparade zum Thema „In diesen Städten habe ich schon mal gewohnt“ ins Leben gerufen. Noch einmal die Stationen seines Lebens Revue passieren zu lassen, ist doch eine nette Idee. Hier mache ich gerne mit.
Aachen
Ich bin 1961 geboren und Aachen ist meine Heimatstadt. Aufgewachsen bin ich aber nicht in der Stadt, sondern etwa dreizehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Damals war es eine große Entfernung, heute ist es nur ein Katzensprung. Der Ort, ländlich gelegen und nur wenige Kilometer von der belgischen Grenze entfernt, hatte alles, was wir brauchten. Tante-Emma-Laden, Sparkasse, Kindergarten und Grundschule. Wir bewohnten ein Haus mit großem Garten. In der gleichen Straße wohnten auch meine Oma und meine Tante. Die Nachbarn waren alles Schulfreunde von meinen Eltern, so dass man einander kannte. Für uns Kinder spielte sich das Leben aber auf der Straße ab: Rollschuhfahren, Seilspringen und Verstecken - so verbrachten wir die Nachmittage. Irgendwann gingen die Jungs zum Fussball, mich zog es auch auf den Sportplatz, allerdings zur Leichtathletik. Es war eine sehr unbeschwerte Zeit.
Ich war häufig mit meiner Oma "auf Reisen!". Mit der Straßenbahn fuhren wir in die Stadt und immer stand auch ein Besuch im Aachener Dom, die Kirche, in der Kaiser Karl gekrönt wurde, an. Es war schon etwas Besonderes, in dieser Kirche zu sein, sie war ganz anders, als die, die ich von den Nachbardörfern kannte. Und immer waren in Aachen sehr viele Leute zu sehen, deren Sprache ich nicht verstand. Kein Wunder, liegt doch Aachen im Dreiländereck und Belgier und Holländer kamen oft in die Stadt zum Einkaufen. Für mich war Aachen riesig und ich hielt sie für eine Weltstadt. Aachen ist zwar weltoffen - eine Weltstadt ist sie bis heute nicht, hat sie doch nur etwa 260.000 Einwohner und ist gar nicht so groß, wie es sich für mich immer anfühlte. Und wer ein wenig mehr über Aachen erfahren möchte, schaut doch einmal in unseren Bericht über die schöne Kaiserstadt Aachen.
Die Straßenbahn gibt es heute auch nicht mehr. Aus der Straßenbahntrasse wurde der Vennbahn-Radweg, einer der längsten Bahntrassen-Radwege Europas mit 125 Kilometer von Aachen über Belgien nach Luxemburg. Das ist im Übrigen immer noch ein Ziel von mir, diese Strecke einmal zu radeln,
Meine größte Leidenschaft war und ist bis heute das Reisen. Meine Patentante und ihre Kinder wohnten in Aachen. So kam es, dass ich schon als kleines Kind gerne mein Köfferchen gepackt habe und zu ihnen in die dreizehn Kilometer entfernte Stadt „gereist“ bin. Heimweh kannte ich nicht. Weitere „Abenteuer“ folgten während meiner Zeit bei den Pfadfindern und ich war erst zehn Jahre alt, als ich mit den Pfadfindern in die Weltstadt München fuhr. Dass ich später einmal dort arbeiten und leben würde, hätte wohl niemand gedacht. Es war kurz nach den Olympischen Sommerspielen 1972 und das Olympiastadion und eine Straßenbahn zu sehen, die unterirdisch fuhr, war schon sehr spannend. An Schloss Neuschwanstein, Schloss Linderhof und den Besuch in der Wieskirche kann ich mich heute noch erinnern. Obwohl ich heute nicht sehr weit entfernt von diesen Orten wohne, bin ich nicht seitdem mehr dort gewesen. Vielleicht wäre jetzt noch einmal die Gelegenheit dazu.
Das Ereignis des Jahres war für uns das Aachener Reitturnier. Jedes Jahr, im Juni oder Juli, fand es statt. In einem Stadion, voll mit hunderten Besuchern, bewunderten wir - ohne jemals selbst auf einem Pferd gesessen zu haben - Reiter aus aller Welt , die mit roter Samtjacke und schwarzem Helm auf ihren Pferden über hohe Hindernisse sprangen. An den Turniertagen gab es sogar schulfrei, damit auch wirklich jeder zum Reitturnier gehen konnte. Wir machten uns alle ausgehfein, obwohl es oft und sehr viel regnete, und wenn es tatsächlich einmal trocken war, staubte es. Man kam also nie so sauber heim, wie man hingegangen war. Aber das gehörte dazu. Ganz Aachen war auf den Beinen und wollte zum Turnier. Bepackt mit Picknickdecke, belegten Brötchen, Frikadellen und Kartoffelsalat verbrachte ich mit meiner Mutter und meiner Oma den Tag auf der Wiese und wir verfolgten gespannt das Geschehen im Parcours. Die Eintrittskarten für die Tribünen waren für uns zu teuer. Zwischen den Wettkämpfen kämpften wir uns durch die Menschen zum Sattelplatz, wollten den Reitern ganz nahe sein. Schon damals war sehr viel Prominenz in Aachen, doch beim Reitturnier waren gefühlt alle gleich. Es gab keine Bodyguards. Und wer kann schon erzählen, dass er direkt neben der Schwester des englischen Königs, Prinzessin Ann, und der Tochter des spanischen Königs, Prinzession Eleonore, gestanden hat? Ich weiss es noch, als wäre es erst kürzlich gewesen.
Später war mein Arbeitgeber einer der Hauptsponsoren. Es gab Freikarten, einen Nachmittag arbeitsfrei und wir konnten uns das Geschehen von der Tribüne aus anschauen. Das CHIO hat sich inzwischen zu dem weltweit größten Reitturnier, dass den Status „Wimbledon des Reitsports“ hat, entwickelt. Ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen und dennoch verfolge ich auch heute noch die Stimmung im Aachener Reitstadion - nicht vor Ort, aber vor dem Fernseher. Es sind halt Kindheitserinnerungen.
In der 11. Klasse des Gymnasiums lernte ich meinen Freund Tom kennen. Er kam ebenfalls aus Aachen, wohnte aber auf der anderen Seite der Stadt in der Nähe der holländischen Grenze. Uns trennten etwa 15 Kilometer. Tom ist mein Herzensmensch und seitdem gehen und reisen wir gemeinsam durchs Leben.
Wir bezogen unsere erste Wohnung, fussläufig von meinem Elternhaus entfernt. Ein kleiner Herzenswunsch wurde geboren. Und irgendwann hieß es Abschied von Familie und Freunden nehmen. Der Beruf meines Mannes führte uns in den Norden, nach Bremen.
Vom Westen in den Norden Deutschlands - Bremen
Bremen hat einiges mit Aachen gemeinsam. Beides sind Großstädte, aber man nimmt sie nicht so wahr. Sie kommen vielmehr wie Kleinstädte daher. Ach rund um den Marktplatz von Bremen ist eine Ähnlichkeit mit Aachen zu erkennen. Nur ist hier umgekehrt: das Rathaus von Bremen ist UNESCO Welterbe und der schlichte Dom gegenüber steht in seinem Schatten. Dafür aber sieht man prunkvolle Kaufmannshäuser, eine golden verzierte Handelskammer und natürlich der Bremer Roland auf dem Marktplatz. In Bremen ist es der Roland - in Aachen haben wir den Karl.
Ich kann mich daran erinnern, dass wir bei unserem ersten Besuch zuerst das Wahrzeichen der Stadt, die Bremer Stadtmusikanten, gesucht haben. Man findet sie auch, doch sie stehen nicht mittig auf dem Marktplatz, wo man sie erwarten würde, sondern etwas versteckt, seitlich des Rathauses.
Vielleicht ist es sogar die Ähnlichkeit mit Aachen, dass wir uns vom ersten Augenblick im Norden wohl gefühlt haben. Auch hier haben wir nicht direkt in der Stadt Bremen gelebt, sondern etwa 20 Kilometer außerhalb, sogar außerhalb des Bundeslandes, nämlich schon in Niedersachsen. In Bremen haben wir gearbeitet und pendelten jeden Tag mit dem Zug dorthin. Schon damals gab es in Bremen eine große Armut, die insbesondere in Bahnhofsnähe deutlich sichtbar war und einige Viertel mied man sogar ganz. Und heute sieht es dort noch schlimmer aus, glaubt man den Worten einer Freundin, die in Bremen lebt. Vor kurzem habe ich gelesen, dass sich die Bremer zu den unglücklichsten Großstädtern zählen. Man kann es vielleicht ein wenig nachvollziehen. Doch dort, wo wir wohnten - ein gemütlicher, netter Ort mit vielen Neubauten, kleinem Badesee, umgeben von weiten Feldern, das Künstlerdorf Fischerhude, wohin wir oft radelten, in unmittelbarer Nähe - fühlten wir uns sehr wohl. Und hier war nichts von Tristesse zu spüren. Aber es war ja auch nicht Bremen - es war schon Niedersachsen, nur wenige Kilometer lagen dazwischen. Vielleicht machen die wenigen Kilometer aber genau diesen Unterschied.
Als wir in den Norden zogen, hatten wir den Eindruck, dass hier alles viel langsamer ging, als wir es gewohnt waren. Hektik schien den Nordlichtern fremd zu sein. In den Geschäften, an der Theke waren die Leute einsilbiger. „Moin“ sagte man - das reichte dann erst einmal für ein Gespräch. Man sagt, ein Bremer würde sich nicht freiwillig zu jemanden an einen Tisch setzen, den er nicht kennt. In Aachen setzt man sich zu jemanden an einen Tisch, um ihn kennenzulernen. Doch lernt man den Bremer kennen, kommt auch der Zeitpunkt, an dem auch er aus seiner Haut herauskommt. Wir hatten wunderbare Arbeitskollegen, diese als offene und herzliche Menschen erlebt und auch heute noch besteht noch zu einigen eine enge Freundschaft. Es dauert halt ein wenig länger in Bremen. Doch wen die Bremer einmal lieben, den geben sie nicht auf. Das zeigt schon ihre Liebe zum Fussballverein Werder Bremen. Mit ihm feiern sie die Meisterschaft und mit ihm gehen sie auch unter.
Wir wurden seßhaft, hatten uns ein Haus gekauft und nette Freunde gefunden. Kindergarten und die Schule passte für unseren kleinen Herzensmensch. An den Wochenenden erkundeten wir viele Orte in der Umgebung: Hamburg, Oldenburg, Stade und Buxtehude waren nur einige Städte, die wir besucht hatten. Auch an den Strand in Cuxhaven und Bremerhaven war es nicht weit. Diese Entdeckungen machten unsere Zeit in Norddeutschland auch spannend und abwechslungsreich. Ab und an fuhren wir in die Heimat nach Aachen: vier Stunden Fahrt war gut machbar. Wir dachten, wir bleiben für immer im Norden. Doch es kommt ja immer anders, als man denkt. Unser Arbeitgeber fusionierte mit einem Aachener Unternehmen, was reiner Zufall war. Es hätte auch eine andere Stadt sein können. Also ging es für uns wieder zurück. Und, obwohl wir nur fünf Jahre im Norden gewohnt haben, möchten wir diese Zeit nicht missen. Wir haben viel erlebt und dort wunderbare Freundschaften geschlossen, die auch heute noch bestehen.
Vom Norden in den Westen - zurück nach Aachen
Es ging also wieder zurück in unsere Heimatstadt Aachen und bedurfte somit keiner Eingewöhnung. Wir lebten wieder in dem Ort, in dem ich meine Kindheit verbracht hatte. Es sollte für immer sein. Doch dann erhielten wir das Angebot, für drei Jahre nach Japan zu gehen. Keine leichte Entscheidung, ist doch Japan ganz anders, als das, was wir kennen und lieben. Wir wollten den Schritt wagen. Also büffelten wir mehr oder minder gut japanische Vokabeln und setzten uns in Seminaren schon einmal mit der japanischen Kultur auseinander. Einen ersten Eindruck, wo wir wohnen und welche Schule passen würde, hatten wir uns schon in Tokio verschafft. Die Anzeichen standen auf Abreise und unsere Koffer waren fast schon gepackt. Doch es kam wieder einmal anders- der Arbeitgeber cancelte alle Auslandsentsendungen. Meine Erleichterung war erst einmal groß, doch im Nachhinein betrachtet, war es schade, dass wir keine Möglichkeit hatten, Japan und seine Bewohner näher kennenzulernen. Wir blieben also in Aachen, kauften und modernisierten ein altes Haus, doch nicht lange nach dem Einzug hieß es erneut Abschied nehmen. Diesmal gab es ein Jobangebot in München.
Vom Westen in den Süden Deutschlands
Im Vorfeld hatten wir lange darüber nachgedacht, ob wir wirklich nach Bayern ziehen wollten, gelten die Bayern doch als selbstverliebt und als kein besonders zugänglicher Menschenschlag.
Wir zogen in eine Kleinstadt mit etwa 12.000 Einwohnern, aber fast 700 Kilometer von Aachen entfernt. Das bedeutet fast eine Tagesreise, um in die Heimat zu fahren. Viel zu weit, um mal eben schnell alte Freunde zu treffen.
Die Anfangszeit war sehr schwer, sind doch alle Nichtbayern für die Einheimischen nur „Zugereiste“ und das gab man uns auch zu verstehen. Oftmals verstanden wir ihre Sprache kaum. Die Bayern sind selbstbewusst und stolz auf sich - das ist noch untertrieben, denn der Bayer ist das Maß aller Dinge. „Mia san Mia“ - das ist seine Devise. Das fängt bei den Kindern in der Schule an und hört bei der Politik auf. Man hat den besten Fußballverein und auch die besten Autos kommen von hier. Die bayerischen Frauen waren zurückhaltender, doch hier eine enge Freundschaft zu schließen, fiel mir schwer, drehten sich die meisten Gespräche nur um die Kinder und um das, was die Nachbarn tun oder eben nicht tun. Mein Heimweh war schon sehr groß.
Irgendwann hatten auch wir uns an die Bayern gewöhnt - und sie sich vielleicht auch an uns. Man arrangiert sich. Vielleicht lag es auch an unseren Arbeitskollegen in München. Die meisten waren wie wir ebenfalls „Zugereiste“, aus den unterschiedlichsten Orten Deutschlands, teils auch aus dem Ausland. Die Kollegen waren offener als die Einheimischen, aber gerade das machte es für uns einfacher und das Leben angenehmer. und das machte uns das Leben hier angenehmer. Wir fingen an, uns hier wohl zu fühlen. Und mittlerweile haben wir auch unsere eigene Sichtweise zu den Bayern: „Könnten es die Bayern alleine richten, würde es hier nicht so viele Zugereiste wie uns geben“.
Wir leben jetzt seit über 20 Jahren im Süden Deutschlands und sind auch nochmals von der Kleinstadt in ein kleines Dorf gezogen. Unser jetziger Wohnort liegt ländlich, dennoch gibt es unmittelbarer Nähe alles, was wir zu einem angenehmen Leben brauchen. In unserer Straße wohnen nur etwa 20 Familien, "Einheimische" und „Zugereiste" - zusammen ist das eine sehr gute Kombination. Wir leben in der Natur, haben den Wald vor der Tür, es ist nicht weit in die Berge und Seen gibt es zahlreich. Stadtnähe geht auch: Landshut, Rosenheim und München sind tolle Städte und für uns schnell zu erreichen. Was braucht man mehr? Wir leben in dem Bundesland, in dem die meisten Deutschen Urlaub machen. Dort muss es schön sein. Und das ist es auch - nicht nur im Urlaub. Auch für uns als "Zugereiste".
Insgesamt sind wir sechsmal umgezogen. Die Umzüge hatten immer berufliche Gründe. Von Nordrhein-Westfalen nach Niedersachsen bzw. Bremen und jetzt Bayern. Für manche ist das sicherlich nicht viel, doch man gibt bei jedem Umzug auch Freundschaften auf. Und Freundschaft ist uns sehr wichtig. Ob wir für immer hier bleiben? Das wird die Zeit zeigen. Es gibt zumindest keinen Arbeitgeber mehr, der vorgibt, wohin es für uns geht. Wenn - dann ist es unsere eigene Motivation.
Ab und zu fahren wir nach Aachen und besuchen dort unsere Familien. Einige Freunde aus der Kinder- und Schulzeit leben noch dort und wir schätzen es sehr, dass diese Freundschaften immer noch Bestand haben. Wann immer es möglich ist, treffen wir uns- entweder in Aachen oder sie besuchen uns. Mit einigen von Ihnen machen wir jährlich eine Städtetour. Insoweit verbinden wir mit Aachen immer noch sehr große Heimatgefühle. Doch mein Zuhause ist dort, wo meine beiden Herzensmenschen und ich jetzt leben.
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Angelika Klein | Angie's Travel Routes (Mittwoch, 28 August 2024 18:06)
Liebe Marion,
vielen Dank für deinen wunderbaren Beitrag zu meiner Blogparade. So ein Zufall, dass wir beide mal als Zugereiste in Bremen gelebt haben! Toll, wie du die regionalen Unterschiede zwischen den Bayern und den Hanseaten herausgearbeitet hast! Da kann ich nur zustimmen�.
Liebe Grüße
Angelika